Warum es sich lohnt, Priester zu werden
Herr Regens, was sagen Sie jemandem, warum es sich lohnt, Priester zu werden?
Thorsten Schreiber: Die Kurzantwort lautet: Es lohnt sich Priester zu werden, weil dadurch mehr Liebe in die Welt kommt.
Wenn mich jemand fragen würde, ob es sich lohne, Priester zu werden, würde ich mit einer Gegenfrage antworten: Lohnt es sich zu heiraten? Warum lassen sich zwei Menschen auf eine Beziehung zueinander ein? Beziehung ist immer ein Abenteuer. Wenn es gut geht, dann ist die Beziehung für beide ein Gewinn. Es kann aber auch gründlich daneben gehen. Wenn es gut geht, dann entsteht ein neuer Lebensraum, den es ohne die Beziehung der beiden nicht geben würde. Dieser neue Lebenraum ist aber nicht nur für die beiden da. Er ist ein offener Lebensraum, offen etwa für Kinder. Es lohnt sich zu heiraten, weil da jemand ist, der mich annimmt, so wie ich bin, und mir um meiner selbst willen gut ist. Es ist einfach schön, das Leben mit allem, was dazugehört, mit einem Menschen zu teilen. Und: Wenn Leben geteilt wird, dann wird es nicht weniger. Dann wird es mehr!
Auch beim Priesterwerden geht es um eine Beziehung, um die Christusbeziehung. Ein Mann lässt sich auf den Ruf ein, den er irgendwann und irgendwie vernommen hat: Ich überlege Priester zu werden. Zunächst prüft er sich selber. Dazu dienen auch die ersten Jahre im Priesterseminar. Dann aber gehört zum Priesterwerden auch dazu, dass die Ausbilder die subjektiv empfundene Berufung des einzelnen nach objektiven Maßstäben prüfen und bestätigen oder auch nicht.
Priester wird man auf jeden Fall nicht durch eigene Leistung. Das kann sich niemand verdienen durch eigene Leistung. Priester wird man durch die Weihe und die ist bekanntlich ein Sakrament. Das bedeutet, Christus legt seine Hand auf den Priester und nimmt ihn in Dienst. Und der Dienst besteht darin, die bedingungslose Liebe Gottes den Menschen erfahrbar zu machen. Das wird aber nur gehen, wenn der Priester auch die Menschen tatsächlich bedingungslos liebt. Wenn das geschieht, dann entsteht auch hier ein neuer Lebensraum, den es ohne diesen Priester nicht gäbe. Es kann aber die Beziehung zu Christus, was die menschliche Seite betrifft, auch gründlich daneben gehen (siehe Missbrauchsfälle).
Wo sehen Sie Ansatzpunkte, damit mehr Kandidaten diesen Weg wählen?
Thorsten Schreiber: Ansatzpunkte sind 1. das Beispiel anderer Priester, 2. Wertschätzung des priesterlichen Dienstes und 3. Ermutigung durch Dritte.
Eines dürfte schon in der Beantwortung der ersten Frage deutlich geworden sein: Die Berufung zum Priester ist nicht machbar. Das sollte jegliche Berufungspastoral nicht vergessen. Wohl aber ist es möglich, dass der Funke überspringt. Wenn jemand erlebt, dass durch den Dienst eines Priesters mehr Liebe in die Welt kommt, kann das durchaus motivierend sein, auch Priester werden zu wollen. Ein Ansatzpunkt ist also das Beispiel der anderen Priester. In früheren Zeiten war es auch ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich jeder Priester um einen Nachfolger „kümmert“. Trauen sich die Priester noch, zum Priesterwerden zu ermutigen?
Hilfreich wäre sicher auch, wenn die Wertschätzung den Priestern gegenüber deutlicher gelebt würde. Was wird nicht alles über Priester in den Medien berichtet, wie wird über Priester geredet und was nicht alles von ihnen verlangt. Von ihrer Liebe zu Christus und zu den Menschen wird selten geredet. Wenn über die Liebe von Mann und Frau auch so schäbig geredet würde, hätte wohl bald niemand mehr Lust, sich auf eine Beziehung einzulassen. Mir kommt auch vor, dass in Vergessenheit geraten ist, dass Priesterwerden eine sehr intime Sache ist zwischen Christus und demjenigen, der den Ruf zum Priesterwerden verspürt. Da ist jemand, der aus Liebe (zu Gott) auf Liebe (zu einem konkreten Menschen) verzichtet. Kann man sich heute noch darüber freuen?
Aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Vielleicht liegt der dritte Ansatzpunkt hier: Den Weg zum Priesterwerden wählt ein Mann nicht in dem Sinne, dass er sich halt unter 100.000 Möglichkeiten eine aussucht. Das ist für die Menschen von heute eh schon schwer genug. Denn wenn ich einen Weg wähle, schließe ich gleichzeitig 99.999 andere Möglichkeiten aus. Um es pointiert zu sagen: Den Weg zum Priesterwerden sucht man sich eigentlich nicht selber aus. Andere Menschen entdecken, dass in diesem Mann eine Liebe zu Gott und den Menschen da ist und reden ihn darauf an, ob nicht Priesterwerden etwas für ihn wäre. Oder anders gesagt: Berufung zum Priesterwerden ist in den allermeisten Fällen menschlich vermittelt.
Worin bestehen – unabhängig von der gewählten Konzeption – für Sie die wesentlichsten Ziele des Einführungsjahres (Propädeutikums) in die Priesterausbildung?
Thorsten Schreiber: Im Propädeutikum sollen unbelastet durch ein Studium solide Fundamente für ein geistliches Leben gelegt werden und eine tiefere Selbsterkenntnis, gegebenenfalls durch psychologische Unterstützung, soll persönliches Wachstum fördern. Es geht auch darum, das Leben in Pfarren kennenzulernen und mitzuhelfen und auch caritativ tätig zu sein. Bei Bedarf soll auch die allgemeine Bildung vervollständigt werden.
Die Kandidaten bringen mittlerweile sehr unterschiedliche Lebens- und Glaubensbiografien mit. Was beobachten Sie derzeit für Trends bei den Seminaristen?
Thorsten Schreiber: Mit dem Regens des Münchner Priesterseminars, Wolfgang Lehner, möchte ich vier Typen anführen, wissend, dass es keinen Typus in Reinkultur gibt.
Zunächst die immer noch größte Gruppe der „Pfarrkinder“: Sie sind mit der konkreten Kirche vor Ort sehr verbunden. Ihre Herausforderung ist, sich nicht im selbstbezogenen Pfarrbetrieb zu verlieren, sondern auch eine missionarische Haltung zu entwickeln und die Gläubigen zu befähigen, bewusst aus ihrem Glauben zu leben. Das Priestertum des Dienstes dient dem Priestertum aller Gläubigen.
Die zweitgrößte Gruppe ist jene, die man „Charismatiker“ nennen könnte. Sie kommen aus einer der neueren geistlichen Bewegungen und haben eine starke persönliche Glaubensüberzeugung und Christusbeziehung, die sie auch weitergeben möchten. Ihre Herausforderung besteht darin, nicht zwischen sich als den „wahren“ und den anderen „lauen“ Christen zu unterscheiden.
Die dritte Gruppe sind die „Neubekehrten“. Durch eine persönliche Erfahrung angetrieben, möchten sie ihre Begeisterung mit allen teilen. Ihr Glaubenseifer muss sich allerdings in der Zeit bewähren. Bei diesen Bewerbern muss zur vertikalen Dimension die horizontale der Kirche und der Mitmenschen treten. Gerade bei den Neubekehrten wird deutlich, dass eine priesterliche Berufung nicht dann vorliegt, wenn der Einzelne sie verspürt. Sie muss vielmehr durch die Kirche angenommen werden. Nicht jede Berufung zum entschiedenen Christsein ist auch ein Ruf ins Priestertum.
Die kleinste Gruppe ist jene der „Pilger“. Sie haben kein konkretes Bekehrungserlebnis, aber ein Gespür für die Komplexität des Lebens. Sie sind Gottsucher. Ihre Herausforderung ist es, konkret zu werden und sich zu binden.
Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen, des Priestermangels, der anhaltenden Diskussion von Strukturreformen und der kirchlichen Erschütterungen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch erscheint der Priesterberuf wenig attraktiv. Was erwarten Seminaristen heute von ihrer Ausbildung, um diesen Herausforderungen des priesterlichen Dienstes gewachsen zu sein?
Thorsten Schreiber: Das Subjekt und die Hauptperson der Ausbildung ist der Seminarist selber. Er bildet sich selber, nicht er wird gebildet. Das ist sogar eine gewisse Gefahr: Ich absolviere vorgeschriebene Module und habe dann das Recht, zum Priester geweiht zu werden. Der einzelne Seminarist ist also selber für seine Ausbildung verantwortlich. Die Ausbildungsleitung unterstützt ihn darin, wie auch die Gemeinschaft der übrigen Seminaristen, sich menschlich, geistlich, intellektuell und pastoral für den Dienst als Priester zu formen. Vergessen wir nicht, dass Berufung zum Priester nicht machbar ist. Nicht umsonst trägt die grundlegende Ausbildungsordnung den Titel „Das Geschenk der Berufung zum Priestertum“.
In Deutschland läuft derzeit eine hitzige Diskussion zur Zusammenlegung von Priesterseminaren. In Österreich wurden, um ausreichend große Ausbildungsgemeinschaften zu gewährleisten, Standorte bereits vor Jahren zusammengezogen. Braucht es Ihrer Meinung nach neue Ideen für die Priesterausbildung?
Thorsten Schreiber: Es braucht nicht so sehr neue Ideen für die Priesterausbildung, es braucht Männer, die sich für den Priesterberuf interessieren! Was helfen die besten Ideen, wenn niemand da ist, der sie verwirklicht. Für mich wäre ein erster Schritt, nachzudenken, warum wir Priester unbedingt brauchen. Wenn ich eine Richtung angeben darf: Die Aufgabe des Priesters ist es, theologisch gesprochen, im Volk Gottes das „extra nos“ der Gnade darzustellen, das bedeutet, der Priester erinnert an folgendes: Die Kirche lebt von dem, was sie sich nicht selber geben kann: die unbedingte Zuwendung Gottes. Darauf verweist ein Priester und zwar nicht nur mit dem, was er tut. Er verweist als Person auf Jesus Christus und das hat auch Konsequenzen für die Form seines Lebens! Ich bin auch überzeugt, dass das Beispiel von guten Priestern sehr motivierend ist.