Orte des Gebets

Vielleicht ist es gerade die zunehmende Fluktuation im Alltag wie in den Biographien der Menschen unserer westlichen post-industriellen Gesellschaft, die eine tiefe Sehnsucht nach Heimat an und in konkreten Orten verstärkte und neu wachsen ließ.
Für Glaubende können Kirchenräume diese Sehnsucht stillen. Sind sie doch Orte, die nicht nur die Anwesenheit des ganz Anderen konkret erfahrbar machen, sondern auch Orte, die die Erinnerung an Feiern an biographischen Knotenpunkten des eigenen Lebens bewahren. Räume erlebbarer Gemeinschaft und Räume, in denen man sich vom Gebet vorangegangener Generationen getragen wissen darf.
Für das Leben der katholischen Hochschulgemeinde sind vor allem zwei solche Orte konstitutiv: die 1985 zur Universitätskirche erhobene Kirche Maria am Leech in der Zinzendorfgasse und die Hauskapelle im 2. Stock des Studierendenhauses Leechgasse 24. Die Leechkirche, die heute etwas versteckt hinter den Häuserfassaden des Glacis liegt, ist die älteste Kirche im Stadtzentrum von Graz und wurde über einem vorchristlichen Grabhügel und einer romanischen Rundkirche vor den Mauern der mittelalterlichen Stadt in den Formen der Hochgotik erbaut. Man betritt sie durch ein schönes gotisches Trichterportal, in dessen Tympanonfeld eine Sandsteinfigur der Maria mit Kind auf berührend menschliche Weise das intime Verhältnis der Gottesmutter zu ihrem Kind zeigt. Maria beantwortet den kosenden Griff des Kindes an ihr Kinn mit einem beseelten Lächeln. Für die jahrhundertelang vom Deutschen Ritterorden betreute Kirche wurde im Zuge der Renovierung und Neugestaltung 1994 vom Bildhauer Karl Prantl ein Altar aus norwegischem Larvikit geschaffen, der dem gotischen Saalraum eine neue spirituell-meditative Mitte einschreibt. An der Oberseite wird die Altarskulptur von Kugeln, die an eine Gebetsschnur erinnern, begrenzt. Der Künstler will nicht nur zur haptischen Erfahrung durch die Berührung des lebendig-irisierenden dunklen Steins, sondern darüber hinaus zur kontemplativen Versenkung in das Geheimnis der Schöpfung einladen. In einem Raum, der über zwei Vorgängerbauten, einer Grabanlage und einer vorchristlichen Opferstätte errichtet ist, kann die Vernetztheit in größere Zusammenhänge und das Schöpfungsganze vielleicht in besonders intensiver Weise erfahren werden. Der Kirchraum lädt nicht nur zu den Messfeiern am Mittwochabend ein, sondern auch zu Momenten der Stille und des Gebetes im universitären Alltag.
Im geometrischen Zentrum des Studierendenhauses Leechgasse - über dem Foyer, mitten im Wohnbereich - wurde von den Architekten Richard Gratl und Peter Thurner in den 60er Jahren die Hauskapelle errichtet. Bewusst wurden für den formal sehr reduzierten, quadratischen Raum alltägliche Industriematerialien verwendet. Den Fußboden aus Gussasphalt begrenzen Betontrogsteine, nach außen öffnet sich die Kapelle durch ein Lichtband aus Industrieglas in den Wohnbereich. Der Sakralraum wurde hier bewusst nicht als lebensferner Bereich, sondern als Raum mitten in der alltäglichen Lebenswelt gestaltet und erfahrbar gemacht. Ein Raum, der zwar vor allem zum persönlichen Gebet und frei gestalteten liturgischen Formen einlädt, aber nicht multifunktional-beliebig konzipiert ist. Durch Kreuz und Tabernakel vom Bildhauer Gerhard Moswitzer erhält er eine klare Ausrichtung und Definition. 2007 wurde der Raum vom österreichischen Künstler Leo Zogmayer neu gestaltet. In die gläserne Altarplatte hat er geometrisch aufgelöst alle Buchstaben des Alphabets gesetzt. Der Tisch des Brotes (der Eucharistie) ist in dem kleinen Kapellenraum zugleich auch Tisch des Wortes (des Evangeliums). Am Kapelleneingang hat der Künstler subtil eine Schwelle markiert: Ein ins Portal eingelassenes Zitat des Komponisten John Cage weist darauf hin, dass die eigene Disposition und Grundhaltung das Geschehen in einem Raum mitdefiniert: "If you celebrate it". Neben den Messfeiern am Dienstag finden in der Kapelle die wöchentliche eucharistische Anbetung und andere frei gestaltete Gebetsformen und liturgische Feiern statt.
Die beiden - formal so unterschiedlichen - zu ganz anderen Zeiten und unterschiedlichen Voraussetzungen entstandenen Orte haben doch eines gemeinsam: Sie künden von der Nähe Gottes, der sich in Jesus Christus in diese Welt hinein letztgültig ausgesprochen und erfahrbar gemacht hat. Ein Gott, der nicht nur der Ferne ist, sondern die Nähe und das dialogische Zwiegespräch im Gebet sucht und sich als der Liebende in der Feier der Eucharistie ganz schenkt.
Alois Kölbl