Gestures of Infinity
„Gestures of Infinity“ greifen wörtlich ins Unendliche. Die notwendige Unerfassbarkeit dieser Behauptung wird im Medium des Bildes notwendigerweise gebrochen, auf eine Anschauung herunter-, hinauf- oder einfach nur umgepolt, ihres Pathos beraubt, ironisiert, ersehnt, beweint, erdacht.
Die Ausstellung „Gestures of Infinity“ bearbeitet künstlerische Gesten , die dem Fundus eines Ineinanders von Religion und Emotion entlehnt oder aus ihm heraus entwickelt sind: in einer künstlerischen Nach-Postmoderne, die ihre „schlechte Unendlichkeit“ (Hegel) reflektiert und zugleich genießt, und in einer geopolitischen Situation, die Religion als Zuviel (in der Verengung von Fundamentalismus und Gewalt) und als Zuwenig (in der Ödnis erschöpfter Utopien und deren Übersättigung) zum Gegenüber hat: ein „NAHE GENUG“.
Gesten zählen im Kontext der Religion zu den Urgebärden, die durch den Anspruch ihrer Bedeutung in einem eben solchen Maße gefährdet sind missbraucht, wie sie ersehnt werden, gebraucht zu werden: Das Zuviel und Zuwenig – das Motto des diesjährigen steirischen herbst – sind ihnen notwendigerweise eingeschrieben. Ihr Problem und ihr Reiz ist ihr Pathos. Gesten sind Ausdrucksweisen des Ich. Im Kontext der Religion stehen sie unter dem Druck der Angleichung der Vielen, die ihre je eigenen Gesten eben auch für wahr, authentisch oder notwendig halten. Und, was doch neu ist: in einem menschheitsgeschichtlichen Kontext, der diesbezüglich nicht nur durch die Globalisierung und deren notwendige Vielsprachigkeit, sondern auch durch streckenweise völligen Analphabetismus und Verständnislosigkeit ausgezeichnet ist. Er verbindet sich zudem mit einem Lebensgefühl, das durch permanentes Online-Sein, die Teilung oder Multiplizierung unserer Identitäten in verschiedene Milieus charakterisiert ist: Ihm folgt ein Gefühl des Ausgeliefert-Seins, das kleinteilige Welten ebenso erzeugen wie allzu simple Lösungen. Kann die Spannung, die sich aus der globalisierten Welt ergibt, in die Gefühle unseres Ich verlagert werden?
Wie kann Kunst, die von je her in der Spannung zwischen Ideologiekritik und Affirmation der (Herrschafts-)Verhältnisse gut gelebt hat, ein Mehr an Erkenntnis, Erfahrung und sinnlicher Evidenz in diesen notwendigen Konflikt hineintragen?
Die Ausstellung „Gestures of Infinity“, kuratiert von Johannes Rauchenberger und Alois Kölbl, versammelt elf KünstlerInnen aus sieben verschiedenen Ländern Europas und den USA, die in ihren Werken ganz spezielle Arten der religiösen Gestikulation bearbeiten: die gefährlichen Grenzen in der religiösen Sprache zwischen Verheißung und Zerstörung (Hannes Priesch), das plötzliche Kippen in Gewalt im vermeintlichen Spiel eines aus verschiedenen Milieus aufeinander treffenden Wertekanons (Artur Zmijewski), die subtilen Verschiebungen zwischen religiös-ritueller Praxis, ihren religiösen Paradiesesverheißungen und ihren technischen Hilfsmitteln (Manfred Erjautz), die Vielsprachigkeit religiöser Ausdrucksweise und ihres Kontrasts zwischen den kulturellen Traditionen (Kimsooja), ihr babylonischer Hochmut und ihre gleichzeitige verführerische Schönheit (Grazia Toderi), das Ineinander von Sexualität, Spiritualität, Ekstase und Verklemmung (Robert Rumas), die existenzielle Konfrontation mit den buchstäblich letzten Dingen nach dem unmittelbaren Eintreten des Todes (Abigail O’Brien), die Unglaublichkeit religiöser Vorstellungen beim Verlassen der Erde (Marta Deskur), der konzentrische Puls des Einfalls des Anderen zur Destabilisierung des Subjekts (Gor Chahal), die Demaskierung der Tempel der Götter durch die Widerständigkeit der Devotion des Ich (Zlatko Kopljar).