Wendelin Pressl "Paradise Lost"
Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«.
Jean-Jacques Rousseau, aus Akademieschrift 2. Teil, Discours
Die künstlerischen Interventionen von Wendelin Pressl bei der Leechkirche und in der KHG-Galerie hinterfragen Besitz und Abgrenzung, Geld- und Marktwert. Vorhandenes wird durch subtile Eingriffe in seiner Wirkung verändert. Ein unverbautes, scheinbar übrig gebliebenes Grundstück mit einem Apfelbaum spielt durch die optische Veränderung seiner Begrenzung assoziativ mit Motiven der abendländischen Theologie- und Kunstgeschichte wie „Hortus Conclusus“ und Paradiesesgarten.
Papierfreunde
Jeder kann sich wohl an diese einfache wie erstaunliche Drucktechnik aus der eigenen Kindheit erinnern. Auf ein Blatt Papier wird mit einem Graphitstift durch leichte Schraffurbewegungen die mitunter detailgenaue Reproduktion einer unter dem Blatt liegenden Münze gezaubert. Wendelin Pressl wendet jenes simple Verfahren, die Frottage, gleich bei zahlreichen Euro-Münzen an. Diese sind auf der 30 Bogen umfassenden Edition nur scheinbar zufällig, so, als würden sie herunterrieseln, angeordnet, tatsächlich aber auf einer Art Druckstock fixiert, um möglichst idente Blätter zu erzeugen. „Papierfreunde“ werden in Pressls Arbeit also im monetären System gesucht und gefunden. In Referenz zu „echten“ Geldscheinen produziert er mit diesem Druckverfahren seine eigenen Freunde auf Papier mittels der flachzylindrischen Schein-Verwandten aus Metall. Mit diesem Übersetzungsschritt der Reproduktion (oder Fälschung?) wird auf sehr spitzfindig transparente Weise das Selbstverständnis eines Kapitalsystems zur Diskussion gestellt, dessen selbstauferlegten Regeln niemand zu entkommen scheint, und gleichzeitig mit dem künstlerischen Produktions- und Wertschöpfungsprozessen ins Verhältnis gesetzt. Als Tauschhandel sozusagen. Denn im selben Moment, in dem der Wert der abgebildeten Münzen mit dem Abdruck auf Papier ökonomisch von der Bildfläche verschwindet, taucht er künstlerisch, als Bild dieser reflexiven Hinterfragung, wieder auf. Der Kreis schließt sich - und lässt uns in Erinnerung an unsere Kindheit vor Neid erblassen -, indem Pressl jedes Blatt der Edition für den darauf abzählbaren Münzwert (97,70 Euro) veräußert und damit augenzwinkernd seinem „Papiergeld“ das Potential zu harter Währung zu werden einverleibt.
Juliane Feldhoffer