Marianne Lang "Zwischen Dach und Boden"
Bewusst aus dem Zusammenhang gerissene Stilelemente und Objektzitate manifestieren sich konglomeratartig ins Gesamtgefüge, während Raumfunktionen jeglicher Art aufgehoben oder ad absurdum geführt werden. Dem Blick des Betrachters erschließt sich eine Raumchoreographie, die ihrer eigenen Logik zu folgen scheint.
Ein hoher Raum, der über 3 Etagen geht, dominiert die Ausstellungsarchitektur. Auf halber Höhe blickt man von einer Galerie auf eine Konstruktion herab, die aus miteinander verbundenen Fichtholzlatten bestehend an einen Dachstuhl erinnert.
In Marianne Langs Installation „Zwischen Dach und Boden“ spreizen sich Bauelemente in die Höhe und trennen den Raum in ein Oben und ein Unten. Assoziationen an First, Gaupe, Schornstein kommen zustande, während gleichzeitig gezielt inszenierte Schatten an den Wänden ihren eigenen Gesetzen folgen. Ein Gewirr an linearen Verstrickungen, unzusammenhängende Kreuzungen und abgewinkelten Verzerrungen spiegeln eine Sicht der realen Dinge wieder, die als Projektion kaum mehr nachvollziehbar sind. Das wahrgenommene Abbild der Realität manifestiert sich in transformierter Art und Weise auf den massiven Wänden, scheint diese zu gliedern und im selben Moment grafisch aufzulösen. Orthogonale und statische Bezüge verlieren sich im Raum, inszenieren konstruierte Lichtverhältnisse und definieren den bestehenden Raum neu. Gleichsam entstehen in Verbindung mit ihrer Objekthaftigkeit auch stets neue Blickweisen auf die Installation, sobald man als Betrachter seine Position verändert.
Es handelt sich nicht um bloße Verwirrtaktik. Die Installation gibt nichts vor, was sie nicht ist. Ganz bestimmt ist sie kein schick designtes Lichtobjekt, um Innenarchitektur zu gestalten. Vielmehr handelt es sich um ein Gedankenkonstrukt, eine Idee und eine komplexe Fragestellung maßgeschneidert für den Ausstellungsraum. Wie definieren wir unseren Umraum? Und wie (buchstäblich) oberflächlich gehen wir bei dieser Bewertung vor? Raumelemente, die einander nicht einmal berühren bilden doch ein Ganzes. Welche davon sind nun als real, welche als konstruiert bzw. virtuell zu betrachten?
Hinter Marianne Langs Arbeiten steckt immer ein sehr persönlicher und poetischer Ansatz, der zum Nachdenken, vor allem aber zum Hinterfragen inspirieren möchte.
Das Video „Rainy Days“ zeigt statisch das Zimmer im Elternhaus der Künstlerin. Es ist leer. Zu sehen sind (in gleichbleibender Position) nur Fenster, eine verglaste Balkontür, dahinter Teile des Balkongeländers, Heizkörper, der nackte Boden, die Decke. Zunächst Nacht, allmählich Dämmerung und Tagesstimmung wechseln einander ab, während zunehmend der Blick aus den Fenstern an Faszination gewinnt. Gleich einem flexiblen Bilderrahmen verändern sich hier die Hintergründe dezent aber bestimmt. Man erkennt eine Wohnhausfassade (so wie der Ausblick in Marianne Langs derzeitiger Wohnung in Wien im 3. Stockwerk sie zeigt). Wahrheit und Trug vermischen sich. Das Zimmer und seine Umgebung sind nämlich bloß ein Modell.
Der Titel „Rainy Days“ bezieht sich auf den Höhepunkt der Scharade, bei dem in einem plötzlichen Wolkenbruch das gegenüberliegende, aus Pappe bestehende Gebäude triefend vor Nässe in sich zusammenstürzt.
Der Gedanke, das eigene Eigenheim sei nicht real, sei eine Illusion, mag verstörend wirken. Marianne Lang hält jedoch vor Augen, wie sehr unser wortwörtliches „Wahrnehmen“ doch auf Sehgewohnheiten und Gedankenkonstruktion beruht.
So auch in der dritten Position, welche die Künstlerin in ihrer Ausstellung zeigt.
"Face it" ist eine Serie an Tuschzeichnungen auf denen in symmetrischer Formation Kleckse zu sehen sind, die an psychoanalytische Tests erinnern. Verrinnende Farbwolken und nebulose Flächen, die sich ins Papier saugen, verleiten den Betrachter Dinge hinein zu interpretieren. Das menschliche Gehirn ist darauf programmiert, visuellen Eindrücken eine Bedeutung zu geben.
In dieser Arbeit von Marianne Lang tappt der Betrachter in eine konzeptionelle Falle. Die Außenformen der Tuscheflecken sind keineswegs beliebig ins Blatt gesetzt, sondern ergeben jeweils die Silhouette eines isolierten Tapetenmusterelements. Stark vergrößert und aus seinem Zusammenhang gerissen zitier jedes Bild den industriellen Rapport, so wie er in tausenden Wohnungen in tausendfacher Vervielfältigung zu sehn ist. Sowohl das betrachtende Individuum als auch das einzelne Objekt wird (wieder) Teil einer Masse. Kritisch und desillusionierend offenbart sich das Konzept. Schlicht der Wunsch nach omnipräsenter Sinnhaftigkeit füllt und verschönert die heimischen Wände – und das möglichst viel und möglichst überall.
Johannes Kubin