Anneliese Schrenk "79"
Die Produktionsmechanismen unserer Konsumgesellschaft reinigen das Naturmaterial Leder von den Spuren gelebten Lebens; es wird gefärbt, geschmeidig gemacht und industriell zu Schuhen, Möbeln und Autositzen verarbeitet. Die Künstlerin Anneliese Schrenk hält die Verarbeitungsmaschinerie an und kauft Ausschussware, die Risse und Schrunden hat. Ihre Lederhäute, die sie auf Keilrahmen spannt oder verfestigt zu Skulpturen fügt, haben die Form des Körpers, mit dem sie verbunden waren, noch nicht ganz abgestreift. Wenn sie in der Zeit vor Weihnachten den Altar der Leechkirche mit Lederstücken bedeckt, so erden die Falten nicht nur das vergoldete Gewand der Madonna mit dem Christuskind auf dem Arm hoch oben im Altar, sondern entkleiden das Weihnachtsgeschehen auch seiner oberflächlich-kitschigen Süße: hier wird Inkarnation – Fleischwerdung – ganz wörtlich genommen. Die Haut als Membran zwischen Innen und Außen wirft auch die Frage nach Diesseits und Jenseits auf. Den letzten Rest einer rosa gefärbten Haut, aus der schon alles produktionstechnisch Verwertbare ausgestanzt ist, entlässt die Künstlerin in seine eigene, durch Mängel intensivierte Schönheit. Nicht das Makellose, sondern das mit Kratzern, Rissen und Löchern Behaftete kündet von der Realität des Lebens. In der der QL-Galerie in der Leechgasse werden die Lederstücke zu raumgreifenden Skulpturen. Zwischen Foyer und Lichthof markieren sie eine Grenze, an der sich noch vor einigen Jahren eine Fenstergruppe von quasi-sakraler Wirkung befunden hat. Die imaginäre Schwelle zwischen Innen- und Außenraum wird so symbolisch überhöht und die durch Aufschneiden zu maximaler Größe erweiterte Tierhaut erneut zum Bedeutungsträger und zur Frage nach einer möglichen Jenseitsdimension irdischer Geschöpfe. Anneliese Schrenk bleibt in verhaltenen Andeutungen, allzu direkt symbolisch Lesbares ist ihre Sache nicht. Sie legt vielmehr leise Spuren, lädt zu kontemplativer Betrachtung, optischer Enthaltsamkeit und adventlicher Konzentration gegen die Zerstreuungen vorweihnachtlicher Kauf- und Konsumlust.
Linien, Furchen, Kratzer oder auch Löcher ziehen sich durch die Bildwelten von Anneliese Schrenk. Ein sinnliches Spiel von Struktur entsteht. Aufgezogen auf Keilrahmen – und somit den Begriff der Malerei übernehmend – präsentiert die Künstlerin Haut: Lederhaut. Ein vormals lebendes Material, das durch den Arbeitsvorgang des Gerbens haltbar gemacht wird und seine Struktur und Schönheit freilegt.
Die Verwendung von artfremden Materialien ist seit Marcel Duchamp keine Neuheit mehr in der Kunst. Der Künstler erhält in dieser Form der Kunst eine neue Aufgabe zugewiesen, er wird zum Suchenden in einem unendlich großen Fundus an Alltagsgegenständen. Leder ist so ein Gegenstand. Ob in der Wohnzimmereinrichtung oder auf dem Autositz, überall begegnet uns dieses tierische Material, das einst die Haut eines Lebewesens war. Was macht nun Anneliese Schrenk? Sie sucht sich dieses Material, nimmt Ausschussleder und spannt es auf einen Bildträger, der schon jeher, die Kunst respektive die Malerei gehalten hat: auf einen Keilrahmen. Die Größe des Kunstwerkes wird von der Haut und ihrer Struktur bestimmt. Eine gewisse Zufälligkeit schwingt hier unweigerlich mit, denn Struktur und Beschaffenheit kann nur aus dem vorhandenen Lederteil gewonnen werden.
Und doch: Auf den ersten Blick wirken Schrenks Bilder wie reinste Malerei. Abstrakte Gemälde mit teils feinen und dann wieder kräftigen Farbnuancen. Dies ist nicht erstaunlich, ist doch gerade das tierische Produkt ob Fleisch oder auch Haut, ein ständiger Begleiter in der Malerei. Gerade was das Fleisch betrifft, haben sich etwa Rembrandt, Soutine oder auch Bacon, immer wieder an diesem Zwiespalt der Schönheit gemessen. Bacon war von der Schönheit des Rohen so fasziniert, dass er sogar die Aussage tätigte: „Selbstverständlich wird man als Maler ständig daran erinnert, dass die Farbe von Fleisch tatsächlich sehr, sehr schön ist. Nun, wir sind ja schließlich selbst Fleisch, potentielle Kadaver.
Das Fleisch spart Anneliese Schrenk aus, der Geruch des Tierischen ist aber trotzdem gegeben, wenn sie die Haut, welche das rohe Fleisch umgab, in ihre Kunstsprache übersetzt. In den neueren Arbeiten gibt sie dem Leder wieder einen Körper. Sie wäscht das Leder, trocknet es und bringt es in eine verhärtete Form. Ob am Boden liegend oder an der Wand hängend greifen die Lederteile aus, werden organisch oder erinnern an hingeworfene Stoffballen und weisen mit teils zarten Endstücken in den Raum. Wie Gewandfalten von barocken Figuren schwingen sie scheinbar in die Höhe und doch, kann schwarzes Leder diesem Vergleich aus dem Kirchenschmuck standhalten? Ja. Denn gerade die Ruhe, welche Anneliese Schrenks Arbeiten ausstrahlen verweisen auf diese geistige Transzendenz. Es kommt zu einem spannenden Gegenüber, zwischen Verletzlichkeit, schwarzem Leder, Leichtigkeit, oder auch Schönheit, welches den Werken eine spezielle Tiefe verleiht und somit noch einige Wege für die Zukunft offen lässt. Oft lesen wir über Anneliese Schrenk den Begriff der Brutalität... Die Haut und ihre Verletzlichkeit zeigen die Spuren der Vergangenheit. Auch diese Verletzung ist nicht neu, man denke nur an Lucio Fontana und seine der Leinwand zugefügten Schnitte. Aber auch Anneliese Schrenk bearbeitet in einigen Arbeiten das Leder und fügt diesem weitere Verletzungen zu, indem sie Feuer, Schuhpaste oder auch Säure einsetzt. Sie untersucht dadurch das Leder und sein Verhalten und akzentuiert – beziehungsweise „malt“ – auf dem Bildträger. Die dadurch entstandene Struktur der Erhebungen ist es auch, die in die Papierarbeiten aufgenommen wird. In der Frottage Technik, welche von Max Ernst in den Olymp der Kunstbegriffe übernommen wurde, paust sie verschiedenste Materialien und Strukturen ab. Ob Kieselsteine oder Pflasterböden, der Grafitstift übernimmt die Unebenheiten und es enstehen Arbeiten, die gleichsam der Leder“malerei“ eine Tiefenwirkung und eine Struktur aufweisen, welche wiederum an eine der vielen Definitionen der Abstrakten Kunst anknüpft.
Anneliese Schrenks Kunst greift typische Kunstbegriffe auf, um diese dann mit Hilfe des artfremden Materials zum Teil zu negieren. Dieses Material bleibt der Hauptakteur in ihren Arbeiten, die Künstlerin kann oft nur peripher im Sinne eines vorbestimmten Zufallsprinzipes eingreifen. Teils werden die Werke formbar und dann doch auch wieder nicht. Dadurch entstehen Spannungen: Verletzlichkeit gegen Schönheit, Reinheit gegen die Ursprünglichkeit des Materials: nämlich der Lederhaut!
Eva-Maria Bechter