Keiko Sadakane "Perspektive"
In der Kunst Japans spielt der Bildraum über Jahrhunderte überhaupt keine Rolle. Die japanische Künstlerin Keiko Sadakane lotet in ihrem minimalistischen künstlerischen Ansatz, der sich aus den Quellen der westlichen Moderne wie den Traditionen ihrer Heimat speist, immer wieder Grenzüberschreitungen aus. In ihrem jüngsten Werkzyklus setzt sie sich explizit mit dem Phänomen der Perspektive auseinander. Sie reagiert damit ortsspezifisch auf die miteinander kommunizierenden Räume der QL-Galerie in der Leechgasse wie auch auch auf den ältesten Sakralraum von Graz in der Leechkirche.
Grenze, Perspektive und Hoffnung im Bild
Keiko Sadakane für die Zeitschrift "Denken+Glauben" im Gespräch mit Alois Kölbl
Sie ist nicht nur eine Künstlerin der Zwischentöne, der feinen Nuancen und Übergänge, sondern auch eine Grenzgängerin zwischen den Kulturen. In der Kunst der Japanerin Keiko Sadakane sind Religion, ihr Geheimnis und ihre Hoffnung, von zentraler Bedeutung.
Alois Kölbl: Unser Heft beschäftigt sich mit „Grenzen“. Wir sitzen hier vor einer äußerst reduzierten Arbeit von dir, die aus zwei Teilen aus unterschiedlichen Materialien besteht. Die Teile sind perfekt aneinandergefügt. Die Grenze wird unsichtbar und ist doch sehr präsent. Eine bewusste Irritation der BetrachterInnen. Du hast die Arbeit „Verkündigung“ betitelt. Warum?
Keiko Sadakane: Für mich hat die Verkündigungserzählung der Begegnung des Erzengels Gabriel mit dem jungen Mädchen Maria etwas sehr Theatralisches. Himmel und Erde begegnen sich. Diesen dramatischen Moment wollte ich darstellen. Die Arbeit besteht aus glänzendem Metall und aus Holz. Ersteres steht für den Erzengel Gabriel. Das Glänzende strahlt die Macht oder Kraft aus, die der Botschafter Gottes mit sich trägt: eine Art zentrifugale Ausstrahlung. Das Holz hingegen spiegelt die Bescheidenheit der Mutter Gottes wider, sie ist zentripedal nach innen gerichtet; sie ist überrascht, erschrocken und wohl auch ein bisschen ängstlich. Das Material Holz hat an sich keinen Glanz, aber eine Kraft, die sich zur Mitte hin ausrichtet. Über diese beiden Materialien habe ich dann das in Japan sehr bekannte Ichimatsu (??)-Muster gelegt. Ein Karo oder Schachbrettmuster, mit dem der Stoff der Hosen der Ichimatsu Sanogawa gestaltet war, Schauspieler aus der Zeit des Shogun Yoshimune Tokugawa in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Es ist ein ganz einfaches, äußerst reduziertes Muster, das auch in Ruhezonen japanischer Häuser zum Einsatz kommt.
Das ist sehr spannend, weil du aus zwei Bildern eines machst und die Grenze so auf den ersten Blick nicht sichtbar ist.
Dazu ist dieses Weiß notwendig, das an sich keine Mal-, sondern eine Grundierungsfarbe ist. Normalerweise ist Weiß eine sich stark nach außen richtende, reflektierende, glänzende Farbe. Dieses Weiß ist jedoch matt und ich benutze es sehr gerne, um bestimmte Dinge darzustellen – vor allem als Verbindungsfaktor.
In gewisser Weise ist auch die Wunde eine Grenzmarkierung: eine Öffnung zwischen Innen und Außen. Dieses Motiv spielt eine Rolle bei deiner Gestaltung der Glasfenster der Pfarrkirche im oststeirischen Paldau, die in ein paar Tagen geweiht wird. Was ist der Hintergrund deiner Gestaltung?
Es war immer mein Traum Kirchenfenster zu gestalten! Ich habe mich in letzter Zeit immer wieder mit religiöser Ikonographie auseinandergesetzt, obwohl mein künstlerischer Ansatz überhaupt nicht figurativ, sondern minimalistisch ist. Das Motiv der fünf roten Rosen, die für die Wundmale Jesu, die Stigmata stehen, beschäftigt mich schon einige Zeit. Es war eine Fügung, dass die Kirche in Paldau genau fünf Fenster hat, das war der Ausgangspunkt meiner Überlegungen. In jedem Fenster ist zwischen gelben Feldern jeweils ein schmaler rubinroter Streifen. Mein ursprünglicher Entwurf war eigentlich ganz anders, viel barocker, aber die Fenster des bestehenden Baues, die wir nicht verändert haben, führten mich zu diesem geometrischen, sehr reduzierten Entwurf, und ich bin jetzt sehr glücklich damit.
Wir haben uns durch eine Ausstellung kennen gelernt, in der du dich mit dem Rosenkranzgebet auseinandergesetzt hast. Das ist doch sehr ungewöhnlich für eine japanische Künstlerin. Wie kam es dazu?
Ich bin in einem Land Katholikin geworden, in dem nur 0,3% der Bevölkerung katholisch sind. Das hat sich so ergeben, weil meine Eltern mich auf eine sehr angesehene, katholische Schule geschickt haben, wo ich das Christentum kennengelernt habe. Anfangs war das sehr schockierend, ich kannte das alles ja überhaupt nicht. Ich war aber überzeugt davon, dass in den Worten Jesu die Wahrheit liegt, und am Ende der Schulzeit wurde ich getauft. In diesen sechs Jahren wurde das Beten des Rosenkranzes etwas Alltägliches für mich. Für meine Werkserie der „Rosenkranzsonaten“ spielte dann die gleichnamige Komposition des Barockkomponisten Heinrich Ignaz Franz Biber eine große Rolle.
Was sind deine Pläne für die Ausstellung, die du im Herbst im Quartier Leech zeigen wirst?
Mein Ziel ist es mit der Architektur zu arbeiten. Der Raum ist schwierig, aber auch sehr interessant. Ich arbeite viel lieber in solchen Räumen als in einem neutralen „White Cube“. Der Raum hat eine fast sakrale Ausstrahlung und gleichzeitig durch die Staffelung offener Raumeinheiten auch eine spannende Tiefendimension. Genau diese Wirkung bildet den Ausgangspunkt meiner Arbeiten. Mit Perspektive setze ich mich schon länger auseinander. Nun wird es zum expliziten Thema. In der Kirche in Paldau hat das etwa bei der Gestaltung des Altares eine große Rolle gespielt.
Auch diesbezüglich bist du eine Grenzgängerin, denn Perspektive wurde in der europäischen Kunst entwickelt und spielt in Japan gar keine Rolle.
Gerade deshalb! In Japan kennen wir keine Schatten, alles ist flach. Das entspricht unserem Schönheitsideal etwa auch in Bezug auf den weiblichen Körper. Perspektive gibt es zwar, aber es werden andere Instrumente benutzt, beispielsweise goldene Wolken, um Nähe und Entfernung zu vermitteln. Das ist ganz anders als in Europa, wo Perspektive schon lange zum Repertoire künstlerischer Gestaltung gehört.
Vor zehn Jahren haben Johannes Rauchenberger und ich eine Ausstellung von Edgar Honetschläger kuratiert, in der er in einem Video in der Florentiner Brancaccikapelle – einer Inkunabel abendländischer Kunst mit perspektivisch perfekt gestaltetem Bildraum – zwei Personen über die Verschiedenheit östlicher und westlicher Kultur diskutieren und letztlich eine kaum überschreitbare Grenze erkennen lässt. Du lebst seit deinem Studium in Köln und Düsseldorf schon seit vielen Jahren in Deutschland. Wie denkst du über die Grenzen zwischen Kulturen?
Natürlich sind Toleranz und Verständnis entscheidend, doch sollten Kulturen nicht verschwimmen oder sich ineinander auflösen. Eben deswegen ist es auch spannend in zwei Kulturen zu leben, und ich sehe das als ein Geschenk Gottes für mich. Toleranz und Wertschätzung des Fremden sind sehr wichtig, aber mir begegnet in Deutschland auch eine Art übertriebener Toleranz in Form von Gleichmacherei. Ich bin schon der Meinung, dass man das je Eigene schützen und bewahren sollte. Das geht ja auch gar nicht anders, Japanisch zum Beispiel ist eben meine Muttersprache, in der ich mich noch immer besser ausdrücken kann als im Deutschen. Erst wenn ich mir das Eigene wirklich bewusst gemacht habe, kann ich auch den Schritt tun, mich für anderes zu öffnen.
Perspektive könnte man im übertragenen Sinn auch verstehen unter dem Gesichtspunkt, eine Perspektive, also Hoffnung zu haben. Das ist unser diözesanes Jahresthema. Haben diese beiden Begriffe für dich etwas miteinander zu tun?
Ja, ganz bestimmt! Vor allem durch meinen christlichen Glauben bin ich von Hoffnung durchdrungen, dieser Glaube bestimmt auch meine künstlerischen Arbeiten, auch wenn ich das nicht immer explizit mache. In jedem Fall wäre es für mich als Künstlerin wunderbar, wenn man diesen Hoffnungsschimmer in meinen Arbeiten spüren würde. Vielleicht nicht auf Anhieb, aber auch das finde ich gut, denn Kunst sollte stets ihr Geheimnis bewahren.