Interview mit Leopold Städtler
Beziehung, Austausch und Diskurs stiften
In diesem Jahr feiert die Bischof-Johann-Weber-Stiftung ihr dreißigjähriges Bestehen. Sie wurde einige Jahre nach dem Fall der Mauer gegründet um Studierenden aus den ehemals kommunistischen Ländern Ost- und Südosteuropas die Möglichkeit zu bieten in Graz zu studieren. An der Gründung war als damaliger Generalvikar der Diözese Graz-Seckau, Prälat Leopold Städtler, wesentlich beteiligt. Am 23. April feiert er seinen neunundneunzigsten Geburtstag. Hochschulseelsorger Alois Kölbl hat als derzeitiger Vorsitzender des Stiftungsrates mit ihm über die Gründungsidee der Stiftung und in ihren Sinn im europäischen Miteinander, in dem sich in den Jahrzehnten nach der Wende gesellschaftspolitisch sehr viel verändert hat, gesprochen.
Alois Kölbl: Die Bischof-Johann-Weber-Stiftung wurde fünf Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges ins Leben gerufen. Wie ist es zur Gründung dieser Einrichtung unserer Diözese, deren dreißigjähriges Jubiläum im Herbst mit einem Festakt gefeiert werden wird, gekommen?
Leopold Städtler: Der Anlass war damals das 25-jährige Jubiläum der Weihe von Bischof Johann Weber. Wir haben uns überlegt, was wir ihm zu diesem Anlass schenken könnten. Das war gar nicht so einfach. Wäre es nach ihm gegangen, wäre es bei einer Wallfahrt ins Heilige Land geblieben. Wir wollten ihn als Bischof in seiner Bedeutung für die gesamte Steiermark würdigen. Der damalige Hochschulseelsorger Dr. Heinrich Schnuderl schlug vor, die besondere geographische Rolle der Steiermark und die Rolle der Grazer Universität in ihrer Brückenfunktion zum Ausgangspunkt eines Geschenkes, das gleichzeitig einen Zukunftsimpuls bilden sollte, zu machen. Prof. Philipp Harnoncourt und Prof. Johann Trummer, die beide in den Ländern Ost- und Südosteuropas gut vernetzt waren, unterstützten diese Idee entscheidend mit. Die Überlegung war dann, in gewisser Weise das ganze Land und nicht nur die römisch-katholische Kirche – in diesem Fall die politischen Parteien, die Kammern und die Industriellenvereinigung – einzubinden.
Alois Kölbl: Wie habt ihr das bewerkstelligt?
Leopold Städtler: Unsere Idee hat sich weiterentwickelt und wurde zur Gründungsidee der Stiftung. Wir wollten Studierenden aus dem Osten Europas die Möglichkeit zum Studium und zur Weiterbildung in der Steiermark ermöglichen; damals lag der Fokus noch auf einer Spezialisierung für das Theologie-Studium. Da Prof. Harnoncourt mitwirkte, lag es natürlich nahe, die Liturgie und auch die Ökumene besonders in den Blick zu rücken. Das Ganze sollte über eine Stiftung möglich werden, in die von verschiedenen Seiten ein Grundkapital eingezahlt werden sollte. Zuerst war Bischof Weber über die Idee ein wenig erschrocken, als wir ihm davon erzählten. Für ihn kam das nur in Frage, wenn es gelingen würde, alle damals im steirischen Landtag vertretenen politischen Parteien zur Mitwirkung zu gewinnen. Er wollte es nur akzeptieren, wenn es ein steirisches Gemeinschaftsprojekt ist. Das war die Geburtsstunde der Stiftung. Mit dieser Idee machte ich mich auf den Weg zu den Gesprächen mit den Verantwortungsträgern. Der damalige Landeshauptmann Josef Krainer (ÖVP) war sofort begeistert, aber zunächst skeptisch, ob auch die anderen Parteien mitmachen würden. Aber auch bei den Parteiobmännern Peter Schachner-Blazizek (SPÖ) und Michael Schmid (FPÖ) stieß ich auf keinen Widerstand, ganz im Gegenteil! Schließlich konnten auch weitere Unterstützer in der Stadt Graz, der Landwirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung gewonnen werden. Damals war die Idee noch, dass die Stiftung zumindest solange bestehen bleibt, solange Bischof Weber im Amt bleibt. Das war auch ohne Einwände möglich, worüber nicht nur wir uns sehr gefreut haben, sondern auch Bischof Weber sehr glücklich war. Zu dieser Zeit gab es eine solche Förderung für Studierende noch nicht und auch die Zusammenarbeit mit den Bischöfen und Kirchen in den Ländern Osteuropas hatte damals erst so richtig begonnen.
Alois Kölbl: Wie kann man sich die ersten Schritte der Umsetzung eurer Idee vorstellen?
Leopold Städtler: Es wurde dann ein Komitee gegründet und die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Stiftung abgesteckt. Auch ein Kuratorium, das aus Vertretern des Landes Steiermark, der Stadt Graz, der Universität inklusive des Rektorats und kirchlichen Vertretern bestand, kam dann zustande. Die ersten Studierenden kamen aus Polen, Ungarn und Slowenien und konnten viel über Liturgie und Kirchenmusik lernen.
Alois Kölbl: Seit damals hat sich vieles verändert, und du hast nicht nur vieles mitgeprägt, sondern auch vieles selbst erlebt – unter anderem als junger Mann auch den Zweiten Weltkrieg. Die Stiftung wurde sehr bewusst nach dem Fall der Mauer und der politischen Wende gegründet. Niemand hätte gedacht, dass es nach den Balkankriegen in Europa wieder Krieg geben könnte. Wie nimmst du den Krieg in der Ukraine aus der Perspektive deines langen Lebens und deiner Lebenserfahrung wahr?
Leopold Städtler: Gewalt kann nie die Lösung eines Problems sein. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung aus dem Krieg sagen: Wir haben nur leben wollen! Am und im Krieg gab es nichts Positives. Mit Gewalt, Krieg und dem Erzwingen einer einseitigen Politik lässt sich nichts Gutes voranbringen. Wirklich ändern kann sich etwas nur, wenn man mit Respekt und Achtung aufeinander zugeht und das Gespräch sucht. Als Christ bin ich hier auch Optimist, denn ich bin davon überzeugt, dass sich das Gute gegen das Böse immer durchsetzen wird. Das gilt für das eigene Leben ebenso wie auf internationaler Ebene. Wenn ich aber konkret auf den Krieg in der Ukraine schaue, so sehe ich die Forderung, die „Weiße Flagge“ zu hissen, wie es Papst Franziskus kürzlich gemacht hat, durchaus kritisch. Denn die Ukraine ist ein selbstständiges Land mit einer demokratisch gewählten Regierung, und sie ist von Russland überfallen worden. Ob man allerdings gegen ein Land von der Größe Russlands, das auch das Leben seiner eigenen Soldaten geringachtet, gewinnen kann, weiß ich nicht.
Alois Kölbl: Die Stiftung besteht nach einigen Reformen erfreulicherweise nicht nur über die Amtszeit, sondern auch über den Tod von Bischof Weber hinaus. Was würdest du dir für die Zukunft der Stiftung wünschen?
Leopold Städtler: Solange der Grundgedanke bewahrt bleibt, Menschen aus verschiedenen Ländern ins Miteinander zu bringen, kann nicht viel schiefgehen. Sich gegenseitig kennen zu lernen, miteinander zu diskutieren und auch kritisch auszutauschen gehört wesentlich dazu. Wenn junge Menschen zusammenkommen und sich und ihre je eigenen Lebenshorizonte und Wurzeln respektieren lernen, dann geschieht immer etwas Positives. Institutionen wie die Bischof-Johann-Weber-Stiftung können dies fördern, initiieren und unterstützen.
Alois Kölbl: Die Stiftung wurde auch zur Belebung christlicher Werte in postkommunistischer Zeit gegründet. In Westeuropa scheint das Christentum, wie wir es über Jahrhunderte gekannt haben, zu sterben oder zumindest seine Vitalität zu verlieren. Wie siehst du das?
Leopold Städtler: Von Aussterben würde ich nicht sprechen wollen. Ganz sicher wird ein kirchliches Christentum, wie man es etwa in einer Pfarre findet, kleiner werden. Früher war auch die kirchliche Reichweite größer. Wenn man als Kaplan etwas vorgeschlagen hat, wurde das oft gleich von sehr Vielen mitgetragen und umgesetzt. Ich habe in meiner Zeit als Kaplan im obersteirischen Industriegebiet aber auch anderes erlebt. Ich habe gemerkt, dass es jenseits des institutionellen vor allem um das Zwischenmenschliche und ehrlich gelebte Beziehungen auf einer persönlichen Ebene geht. So habe ich den Kontakt zu den Menschen auch aus ganz anderen Lebensbereichen gefunden. Aber natürlich braucht es auch jenseits von Tagespolitik politische Positionierung von kirchlicher Seite, damit Menschen sich gehört und gesehen fühlen. Ich bin auf jeden Fall davon überzeugt, dass wir zwar zahlenmäßig weniger werden, die Qualität des Christseins aber steigen wird. Das merkt man jetzt schon in Pfarren, in denen kein Pfarrer mehr dauerhaft präsent ist. Oft steigt gerade in so einer Situation das ehrenamtliche Engagement von Laien, die sich eigenverantwortlich einbringen. Das sehe ich durchaus als Fortschritt.
Alois Kölbl: Wenn du aus der Perspektive von drei Jahrzehnten zurückschaust: War es richtig, die Initiative zu einer Stiftung in dieser Form zu ergreifen? Würdest du aus heutiger Sicht etwas anders machen?
Leopold Städtler: Hinter der Idee stehe ich nach wie vor. Weder Bischof Weber noch ich haben uns aber in der Folge eingemischt. Dazu gab es bestellte Fachleute. Ob immer die richtigen Studierenden gefördert wurden, kann ich also nicht sagen. Einige Stipendiaten sind mir aber sehr positiv in Erinnerung geblieben. Besonders imponiert hat mir etwa ein rumänischer Kirchenmusiker, der die Musik als Medium der christlichen Verkündigung begriffen und auch uns hier in dieser Weise erschlossen hat. Das Entscheidende ist, dass Menschen aus anderen Ländern, die in einer gänzlich anderen Situation als der unseren leben, eine andere Kultur kennenlernen können. Man kann nur gratulieren und hoffen, dass noch viel Gutes durch die Stiftung möglich ist.