Paradise L.
Bunte Wiese, bunte Gesellschaft
Zwei Lehramtsstudentinnen hocken mitten in der Stadt auf einer überdimensionierten, etwas verzogenen und verwitterten, aber gemütlichen Holzstiege. Manchmal durchbricht ein hell aufjodelndes Lachen ihr vertrautes Getratsche, das vom gepflegten Klatsch jederzeit in einen hochtheoretischen Schlagabtausch kippen kann, manchmal fliegt der kehlige Gruß eines vorbeiradelnden Bekannten von der Straße zum weiblichen Duo herüber. Ein junger, in einem Liegestuhl unter dem Apfelbaum in der angrenzenden Wiese sitzender Mann stochert im Milchschaum seines Cappuccino herum und sieht seiner kleinen Tochter dabei zu, wie sie seelenruhig die hölzernen Stufen der großen Stiege raufwackelt. Oben angekommen, klettert sie gleich weiter auf die abenteuerlich weit auseinander liegenden Sprossen einer begehbaren Leiter-Skulptur und blickt neugierig auf drei freundlich zwinkernde, biertrinkende Hipster. Die Arme ihres Vaters, der aus seinem schattigen Platzl längst aufgesprungen und mit einem schmallippigen „Eh klar!“ die Stufen hochgehechtet ist, strecken sich leicht ungeduldig nach ihr aus. Fupp! – schon hat sie sich reinfallen lassen, was ihr Vater mit einem langgezogenen „Supaaaa!“ goutiert. Er geht mit ihr zurück zum Liegestuhl, zurück zum schaummäßig bereits etwas dezimierten Kaffee. Ein Architekt hat sich unterdessen gegen Ende seiner Mittagspause in eine Ecke der großen Holzstiege gefläzt und lässt sich die Nachmittagssonne auf den Bauch scheinen – fast wie im Freibad. Ein älterer Herr lässt derweil seinen stets hochmotivierten Terriermischling über die kleine Wiese streifen, ihn an den Büschen, am Fuß der Holzstiege, an den Füßen der Leute schnuppern. Verstohlen blickt Herrchen sich um. Doch es gibt Entwarnung: Der Hund hat nur geschnuppert, diesmal kein Gassi, diesmal kein Anrainerstress, keine Diskussionen über Respekt, Privatgrundstücke und Haustierethik.
Ein Ort, der offen ist, der sich weiter öffnet
PARADISE L. – so nennt sich der Platz an dem sich all das so oder so ähnlich zugetragen hat, sich vielleicht gerade zuträgt oder noch zutragen könnte. Mitten im Uni-Viertel liegt es, das PARADISE L, unser aller PARADISE L. Dieser Raum zwischen der belebten Zinzendorfgasse, dem John Ogilvie-Haus der Jesuiten, der Leechkirche und dem Gemeinschaftsgarten „Allmende Leech“ hat sich in den letzten Jahren zu einer Begegnungs-, Erholungs- und Veranstaltungszone im Grünen entwickelt. Zuvor privat und großteils nicht frei zugänglich, haben wir aus diesem kirchlichen Grundstück einen öffentlichen, und partizipativen Raum, eine Art experimentellen Vorraum der Kirche gemacht (Bilder der Eröffnung 2017). Hier im PARADISE L. verfolgen wir von der Katholischen Hochschulgemeinde mit verschiedenen Kooperationspartnern wie dem Afro-Asiatischen Institut einen Ansatz der konsequenten Öffnung: Räumlich durchs Aufsperren einer Grünfläche; sozial durchs „Anbieten“ dieser Fläche als Begegnungsort, inhaltlich durch das Bespielen dieser Fläche mit (installativer) Kunst, mit Kulturformaten und gesellschaftspolitisch spannenden Bildungsveranstaltungen, kulinarisch durch ein von der Caritas sozial und ökologisch nachhaltig betriebenes Garten-Café und durch Kooperationen mit der Gastronomie aus dem Grätzl.
"Produktive Faulheit" als Programm
Auch wenn in dieser Zeit eine „reguläre“ Bespielung des PARADISE L. in Form von Seelsorge-, Bildungs- und Kulturveranstaltungen nicht möglich ist, sind alle eingangs beschriebenen Szenen auch im Jahr 2021 weiter möglich: Was es im PARADISE L. trotz Corona weiterhin gibt, ist die Möglichkeit der Rast auf der gemütlichen Holzpritsche mit Blick auf die Zinzendorfgasse, die Möglichkeit des Rumturnens – ganz so, wie unser fiktionales Mädchen das getan hat – oder nachdenklichen Betrachtens der begehbaren Holzskulptur OBACHT OBDACH des Künstlers Markus Wilfling. Möglich ist das Innehalten und Durchatmen in der Leechkirche selbst, möglich ist ein kurzer Müßiggang im offenen Gartenprojekt „Allmende“ hinter der Kirche. Möglich ist es, einen Kaffee unter dem Apfelbaum zu schlürfen, und sei er nur „to go“, sei er nur im „Back Cup“-Format. Ja, möglich ist das auch jetzt alles und das alles zeigt, dass das PARADISE L. abseits vom üblichen Programmaktionismus der vorcoronalen Zeit „funktioniert“. Die Pause auf der Holzstiege, die „produktive Faulheit“, das Dösen unter dem Apfelbaum – das alles funktioniert doch prächtig. Das Paradies ist ein Stück weit offen, bleibt offen.
Florian Traussnig
Information+Kontakt: Brigitte Rinner (rinner@khg-graz.at)